Buchhinweis im 
September
 
2016
 

Als unser Deutsch erfunden wurde.

Bruno Preisendörfer
Eine Reise in die Lutherzeit
Verlag Galiani, Berlin

Ein umwerfendes Buch! Noch selten habe ich mit so viel Gewinn einen Blick in die Geschichte werfen dürfen. Dabei geht es in diesem Buch nicht um die grossen Themen von Theologie oder Kirche, nicht primär um die Auslegung der 95 Thesen, die Luther 1517 an die Türe der Schlosskirche zu Wittenberg geschlagen haben soll. Das Buch Preisendörfers berichtet vom Leben im Alltag der verschiedenen Schichten in der damaligen Bevölkerung in den Städten, und dem krassen Gegensatz vom Bauernleben auf dem Land.

Ja, die Bauern zitterten vor den Herren in der Stadt. Sie revoltierten gegen ihre Herren und verloren dabei zu Tausenden ihr Leben in der Schlächterei von Frankenhausen. Luther stand auf der Seite des christlichen Adels und gab den Rat, möglichst viele von den Aufständischen abzuschlachten. Wie man zu jener Zeit folterte und mit Unterlegenen umging, gehört zu den ganz dunklen Kapiteln der Christenheit.

Aber nicht nur von Kriegen wird berichtet. Das Leben war von Sparsamkeit und Häuslichkeit geprägt. Das Inventar eines bürgerlichen Haushalts war einfach, und mit dem Nötigen kam man ein Leben lang aus. Man erfährt, wie es am Tisch der Fürsten zu und herging, wie Bauern sich ernährten und wie gespeist wurde. Will man das Biersaufen als Droge bezeichnen, so war jene Zeit an Umschlagplätzen reich gesegnet.

Wie war das mit dem Leben in den Familien, wie gestalteten die Ehegatten ihr Leben, wie zogen sie ihre Kinder auf, und wie stand es um die Reinlichkeit in Wohnungen, auf den Strassen, in der Stadt und auf dem Lande? Zwischen der damaligen Zeit und heute liegen Welten; es ist gut, das zu wissen.

Ja, und unser Doctor Martin Luther? Ein mir eigentlich recht sympathischer Typ, der den weltlichen Genüssen sehr wohl zu frönen bereit war. Daneben war er ein wortgewaltiger Prediger, der den Menschen von damals notfalls mit dem Teufel Angst machte und kräftig das Höllenfeuer anzublasen verstanden hat. In seinen berühmten Tischreden bedient er sich eines Wortschatzes, der eines zartbesaiteten Theologen unwürdig ist, so sollte man meinen. Seine Gegner deckte er mit sehr bildstarken Schimpfnamen ein.

Das Jahr 2017 soll das Lutherjahr werden: es sind dann Jahre seit dem Beginn der Reformation. Ich bin gespannt darauf, wie man die verschiedenen Seiten Luthers zu beleuchten wird. Heiligsprechen wird man ihn ohnehin kaum.

Ein wichtiger Teil des Buches diverse Anhänge. Neben einem Werkverzeichnis über gedruckte Quellen, Nachschlagewerken, Dokumentationen und Biographien von Zeitgenossen findet sich auch ein

  • Schimpfwort- ABC
  • Ein Latinum, eine Erklärung gängigster Wörter und Redeweisen
  • Gruppenbilder von Humanisten, Reformatoren, Päpsten, Kaisern, Fürsten,    Künstlern etc.

Zum Ganzen:
Eine fesselnde Lektüre, hautnah und faszinierend. Das Buch, das mir in der Buchhandlung im Bahnhof von Würzburg in die Augen gestochen ist, verhalf mir zu einem Lese- Abenteuer pur!

Bruno Preisendörfer ist freischaffender Publizist und Schriftsteller, der zahlreiche Bücher veröffentlicht hat. 2015 legte er den Bestseller „Als Deutschland noch nicht Deutschland war. Eine Reise in die Goethezeit“ vor.