Buchhinweis im 
Juli
 
2016
 

Berlin Alexanderplatz

Alfred Döblin
eBook

Eigentlich war im Literaturkurs Thomas Manns „Zauberberg“ das Thema. Und die Biographie Thomas Manns selber, der Nobelpreisträger, der täglich nach strenger Selbstdisziplin schrieb und schrieb, wohlbehütet und abgeschirmt von störenden Einflüssen. Im ganzen Haus musste Ruhe sein, damit der Dichter sich der Muse hingeben konnte.

Zur gleichen Zeit lebte Alfred Döblin, ein Vertreter des Neuen Realismus, dessen Credo lautete: Kunst beiseite, gefragt sind Fakten, Fakten! Döblin beginnt das Epos von Franz Biberkopf zu schreiben, und zwar in der gänzlich neuen Erzähltechnik der Zwanzigerjahre des letzten Jahrhunderts. Alles wird realistisch dargestellt, ungeschminkt und ohne Schnörkel, so wie es ist. Es wird geschrieben, wie gesprochen wird. Er wendet eine Collagentechnik an, um von der Hochsprache unbekümmert in den damaligen Berliner Jargon zu wechseln, er zitiert technische Beschreibungen, und zählt anhand des Fahrplans die Haltestellen der „Elektrischen“ auf, bringt Schlagertexte, kopiert Zeitungsberichte. Als Leser ist man immer in allen diesen Bereichen, oft durch Szenenwechsel irritiert, aber immer fasziniert von Döblins Sprachgewalt und seiner entfesselten Fantasie. In dieses plakative Gemälde hinein ist das Leben des Franz Biberkopf gewoben.

Biberkopf ist Proletarier. Ein grundgütiger Mensch, Kollege, Kumpel,
Mitläufer und Mittäter, Wenigdenker, bei krummen Sachen, Gelegenheitsarbeiter, Arbeitsloser. Döblin erzählt vom Leben auf dem Alexanderplatz zumeist aus der Perspektive dieser schiefen Existenz von Franz Biberkopf, immer im Zickzack, nie gradlinig. Er macht das mit Spannung und unterhaltsam, und immer voll Verständnis für den Menschen Franz Biberkopf  und lässt dessen Würde und seinen Glauben an Gerechtigkeit und Treue aufscheinen. Immer merkt man, dass Döblin seiner Figur Biberkopf verständnisvolle Liebe entgegenbringt. Es fehlen nicht die Beschreibungen von komischen und amüsanten Situationen.

Nach vielen Irrungen im Leben findet Biberkopf am Schluss eine Anstellung als Hilfsportier in einer Berliner Firma. Döblin rettet seinen Franz und schrieb am Ende seines Epos:

„Wir sind eine dunkle Allee gegangen, keine Laterne brannte zuerst, man wußte nur, hier geht es lang, allmählich wird es heller und heller, zuletzt hängt da die Laterne, und dann liest man endlich unter ihr das Straßenschild. Es war ein Enthüllungsprozess besonderer Art. Franz Biberkopf ging nicht die Straße wie wir“.

Alfred Döblin war Arzt, 1878 geboren. Im Ersten Weltkrieg ging er als Militärarzt ins Elsass. 1933 verliess er Deutschland fluchtartig und kam in die Schweiz, floh dann nach Frankreich und schliesslich in die Vereinigten Staaten von Amerika.  

Im Grunde blieb Berlin seine Heimat, der er in seinem Roman Berliner Alexanderplatz ein wunderbares Denkmal gesetzt hat. Für eine gewisse Zeit war er neben Thomas Mann einer der anerkannten grossen Dichter Deutschlands. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 beendete mit einem Schlag seine Karriere. Döblin starb am 26. Juni 1957. Zuvor erfuhr er noch, dass ihm der Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste zugesprochen worden war.
   
Der Roman ist mehrfach verfilmt worden. Die Lektüre lohnt sich noch heute. Auch deswegen, weil aus Berlin in gewissem Sinne wieder die Stadt Alfred Döblins geworden ist.