Buchhinweis im 
Juni
 
2013
 

Brüder. Roman

Hilary Mantel
Verlag Dumont

Der Roman handelt von der Französischen Revolution und ist ein riesiges Gemälde aus jener Zeit. Mir wurde klar, wie hoch die Kunst ist, neben bekannten geschichtlichen Fakten ein Werk aufzubauen, das das Leben der Menschen in all ihren Umständen zeigt. Der Entwurf der Schriftstellerin Mantel muss ein detaillierter Plan gewesen sein, der ein packendes Panorama darstellt. Ich stelle es mir als riesengrosses Plakat vor, auf dem die Schriftstellerin die handelnden Personen mittels Strichen, Pfeilen, Unterstreichungen, Einkreisungen und Farben zueinander in Beziehung setzte.

Der Schluss handelt vom Drama des Verrats der Revolutionsbrüder Robespierre, Danton, Marat und der fiktiven Hauptperson, Camille Desmoulins. Diese drei jungen Männer, jeder Anwalt von Beruf, geraten gemeinsam in den Sog der Macht und entfesseln den Schrecken einer Revolution gegen die herrschende Gesellschaftsordnung des Adels, mit Klerus, Bauern, vielen Reichen und noch mehr Armen.

Neben geschichtlichen Fakten (die im Roman jeweils kursiv gedruckt) sind die Geschichten  von Menschen verschiedenster Art zu lesen: Es kommen da vor: Die Bauern auf dem Land, die Handwerker in der Stadt Paris, die Armen und die Reichen, Adelige und Rechtlose, Männer und Frauen, Liebhaber, Betrüger, Halunken, Gauner, Henker und Geistliche. In meisterlicher Art ist alles miteinander verwoben.

Von der eigentlichen Schreckensherrschaft nach dem Tod der Königsfamilie auf dem Schafott (Capet - so der bürgerliche Familienname des letzten Königs Ludwigs XVI), zeichnet die Autorin ein beeindruckend beklemmendes Bild. Es erinnert an andere Schreckensherrschaften, die es in der Folge jeder Revolution gegeben hat, und wie es sie in jüngerer Vergangenheit und heute noch immer gibt.

Nichts von den Geschichten um die Guillotine und dem Blutbad auf dem Place de la Concorde. Der Autorin ist, bei allen erschütternden Begebenheiten, ein Roman ohne voyeuristische, herzerweichende Schilderungen gelungen. Dafür werden die Protagonisten wie Robespierre, Danton, viele Künstler und Denker von damals in aller Schärfe so treffend charakterisiert, dass die Lektüre ein hoher Lesegenuss ist.

Gründe für die Dringlichkeit der Revolution waren auch in der Angst der freiheitsliebenden jungen Franzosen vor einem Eingreifen Österreichs (die Königin Marie-Antoinette  war Österreicherin) zu suchen. Und England wäre im Falle eines schwachen Frankreichs schnell mal zu Gebietseroberungen bereit gewesen.

Dem Roman vorangestellt ist die Geschichte von Ludwig XVI. Auf der Jagd begegnete er einem Bauern, der im Wald mit einer Totenbahre unterwegs war. Er fragte ihn, wohin er die Bahre bringe. An den und den Ort. Für einen Mann oder eine Frau? wollte der König wissen. Für einen Mann. Woran er gestorben sei, wollte der König weiter wissen. Des Bauern Antwort: Am Hunger.

Der Roman erschien schon 1992 in Englisch und wurde erst 2012 von Katrin Razum  und Sabine Roth meisterhaft ins Deutsche übersetzt. Die Autorin Hilary Mantel hat den Jahrgang 1952. Nach einem Jura-Studium in London war sie als Sozialarbeiterin tätig. Sie lebte fünf Jahre lang in Botswana und vier Jahre in Saudi-Arabien. Weitere bekannte Romane, für die sie den renommierten Bookerpreis erhielt, sind „Wölfe“ und „Falken“.

Ich teile das Urteil der NZZ über Hilarys Werk: „Ein gewaltiger Roman“ und schliesse mich begeistert an. Der Nachteil bei der Liegend-Lektüre: das Gewicht des dicken Taschenbuches mit seinen 1‘100 Seiten.

Sein Preis in Deutschland: € 14.--
Der Preis in CH bei „buch AG“: Fr. 21.--. Portospesen von Fr. 3.50 nicht eingerechnet.
Wenn ich nächstens wieder einmal in der BRD bin, werde ich mit einem Sack voller Bücher nach Hause kommen.