Buchhinweis im 
Januar
 
2012
 

DÜRRENMATT oder Die Ahnung vom Ganzen

Peter Rüedi
Diogenes-Verlag

Das hat mal wieder gut getan! Ich wollte  ich mit der Biographie eines Schweizers befassen, den ich zu wenig kenne, von dem ich bisher lediglich ein paar Erzählungen gelesen und einige Theaterstücke gesehen habe. Wie hat mir da der Autor Peter Rüedi für eine neue Welt aufgetan!

Dass Dürrenmatt im Grunde genommen Zeit seines Lebens der Pfarrerssohn geblieben war und sich immer wieder mit der Gottesfrage auseinandergesetzt hat, wurde mir endgültig bewusst. Die Werke, die mit der grösstmöglich schlimmen Katastrophe enden, drehen sich alle um diese eine Frage. Ein Fragender zu sein war Dürrenmatts Lebensverständnis. „Eine Ahnung vom Ganzen“ heisst der Untertitel von Rüedis Buch. Und es ist ein faszinierender Kosmos, der sich da dem Leser auftut, wenn der Biograph in verständlicher Sprache aufzeigt, wie Dürrenmatt sich in allen Wissensgebieten umgetan und stets Fragen gestellt hat.

Als Junge war Dürrenmatt ein schlechter Schüler, ein fauler Gymnasiast, der beinahe scheiterte. Über lange Jahre, selbst als er schon verheiratet am Bielersee wohnte, war er auf Unterstützung seiner Eltern angewiesen. Das Gehabe des Lebemannes in Neuchâtel nach dem Durchbruch in den literarischen Olymp darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass er über viele Jahre bescheiden, ja fast ärmlich gelebt hat. Er verfügte über keine Zeugnisse längerer Studien. Nach längeren Zweifeln, ob er nun Maler oder ein Schriftsteller werden wollte, entschloss er sich für das Handwerk des  Schreibens. Am Lebensende aber waren auch Gemälde und Zeichnungen berühmt.

Warum ich die Biographie Dürrenmatts aus der Feder von Peter Rüedi erfrischend finde, ist die Beschreibung vieler Lebensfreuden, von Lebenslust und oft groteskem Humor. Das macht mir Dürrenmatt sympathisch. Seinen Berner Gring muss man mögen, denn er ist der Schlüssel für alles Komödiantische im Leben und im Werk.

Das Buch ist reich an neusten Informationen aus dem Leben des bedeutendsten Schriftstellers der Schweiz des letzten Jahrhunderts. Der Biograph Peter Rüedi hat Dürrenmatt über Jahre immer wieder privat getroffen zu Austausch und Diskussion über alle Fragen über Gott und die Welt (im wörtlichen Sinne!). Dürrenmatts Schwester Verena, und auch Weggefährten und Freunde kommen zu Wort. hat Peter Rüedi hat als erster versucht, den riesigen Nachlass des Schriftsteller im Schweizerischen Literaturarchiv auszuwerten. Entstanden ist ein riesiges dokumentarisches Werk, das der Biograph letztes Jahr, gut 10 Jahre nach Dürrenmatts Tod, vorgelegt hat.

Dass derselbe Peter Rüedi in der Weltwoche wöchentlich je eine gescheite Kolumne über Jazz und über Wein schreibt, ist eine Leistung, der ich – nur nebenbei bemerkt – grössten Respekt zolle.

Die eigentliche  Biographie Dürrenmatts steht auf 732 Seiten, die Buchmitte ist mit einem stattlichen Fototeil ausgestattet,  und der Anhang zählt noch gut 200 Seiten. Ein stattliches, bibliophil solides Werk, wie man das sich vom Diogenes-Verlag gewohnt ist.