Buchhinweis im 
Juli
 
2015
 

Ein fliehendes Pferd. Novelle

Martin Walser
Verlag Suhrkamp

Die Novelle berichtet von den Erfahrungen zweier Ehepaare, die sich in den Ferien zufällig kennen lernen; das heisst, irgendeine vage Bekanntschaft aus früherer Zeit spielt schon mit hinein. Es sind aber anscheinend ganz normale Durchschnittspaare in einigermassen gehobener Situation, die sich da begegnen. Die Novelle spielt sich an einem begrenzten Ort, nämlich im Ferienhotel am Wasser ab. Es ist der Bodensee, wie man immer wieder merkt.

Walser ist ein Meister der psychologischen Erzählung. Er hat seine Figuren beobachtet; ihre Charaktere hat er verinnerlicht; er kennt sie durch und durch. Hinzu kommt seine seine hohe Kunst der differenzierten, aber stets distanzierten Schilderung. Er mischt sich nicht ein, er holt alles aus dem reichen Fundus seiner Beobachtungsgabe. Das macht eine Walser-Lektüre besonders, einzigartig.

Lesend wurde mir bewusst, dass neben der künstlerischen Begabung für das Schreiben auch die Kunst genauer Recherchen wichtig ist. Das beweist der Abschnitt gegen den Schluss der Erzählung, als die beiden Männer – der eine ist des Segelns kundig, der andere total ängstlich und versteht vom Segeln so gut wie nichts – in Seenot geraten.

Wen es wundernimmt, wie ein grosser Schriftsteller eine solche Situation künstlerisch verarbeitet, sollte sich diese Schilderung zu Gemüte führen.
Der Segler ertrinkt, der ängstliche Begleiter wird gerettet. Hier zeigt sich auch Walsers Kunst der dramatischen Entwicklung einer Geschichte. Faszinierend!

Wie nun so genannt normale Menschen mit dem Verlust eines Menschen, der ihnen doch ganz nahe war, umgeht, ist doch einigermassen befremdlich, beschämend. Aber es kommt anders, als man denkt.

Ich habe das „Fliehende Pferd“ mit grossem Genuss gelesen. Es macht Lust auf weitere Walser-Werke. Sein Oeuvre ist immens; er hat dafür zahlreiche Ehrungen erhalten.