Buchhinweis im 
Oktober
 
2010
 

Schuld

Ferdinand von Schirach
Verlag Piper

Ferdinand von Schirach bin ich ein einer deutschen Fernsehsendung über Gewalt und Strafe begegnet. Er beeindruckte mich wegen seiner Vorsicht, über einen Menschen zu urteilen, auch wenn er Straftaten begangen hat. Er ist von Beruf Strafverteidiger.

1964 geboren, in München und in Stuttgart aufgewachsen, holte er Mittelschul-Bildung im Jesuitenkollegium in Sankt Blasien und studierte nachher Rechtswissenschaft. 1994 liess er sich in Berlin als Rechtsanwalt nieder. Durch seine Kolumne „Einspruch“ im „Spiegel“ und durch die Behandlung vieler schwerer Rechtsfälle ist Schirach einem grösseren Publikum bekannt. Als Schriftsteller verfügt er über eine einzigartige Überzeugungsfähigkeit.

Nach seinem Debütroman „Verbrechen“ (erschienen im Jahre 2009, Bestseller, Übersetzungsrechte wurden in 30 Länder verkauft) legte er dieses Jahr sein neues Werk „Schuld“ auf. Ich muss gestehen, dass mir juristische Zusammenhänge erst durch die Lektüre dieses Buches bewusst geworden sind. Gefühlte Gerechtigkeit und das effektive Recht sind zwei verschiedene Dinge. Recht kann nur nach Tatsachen, Beweisen und nach Weisung des Gesetzes gesprochen werden. Für Emotionen gibt es keinen Platz. Die Spannung zwischen persönlicher Wertung und den rechtlichen Grundlagen macht die Lektüre dieses Buches ungemein spannend. Man legt es nie weg ohne einen inneren Konflikt, in den man in jedem erzählten Fall hinein gerissen wird.

Das Buch ist kein Kriminalroman. Es beschreibt Fälle aus dem realen Leben. Dieses hält Tragödien bereit, die in einem einzigen Kriminalroman nicht Platz hätten. In einem Kriminalroman werden soziale und psychologische Hintergründe gratis mitgeliefert. Nicht so bei Schirach; er schreibt ohne persönliche Wertung. Und das macht die Lektüre aufregend genug. Seine nüchternen Schilderungen schockieren bisweilen. Dabei bleibt Schirach der grossartige Erzähler, der den Leser unmittelbar in seine abgeklärte, unparteiische Welt hinein nimmt. Bohrend, knapp und intensiv stellt er Fragen zu Gut und Böse.

Ein bewegendes, lesenswertes Buch, und wie gesagt, kein Krimi, sondern reale Welt von heute.