Buchhinweis im 
Januar
 
2017
 

Sozusagen Paris

Navid Kermani
Hanser

Kurz zum Inhalt: Der Erzähler ist ein Buchautor, nicht zu verwechseln mit dem Autor Navid Kermani. Bei einer Buchsignierung nach einer Lesung steht eine Frau vor dem Erzähler und sagt: „Schreib bitte nicht über Jutta“. Nach einer kurzen Verwirrung erkennt er seine ehemalige Geliebte Jutta. Ohne sie richtig begrüsst zu haben bittet er sie, doch noch auf ihn zu warten.

Sie treffen sich, nach nunmehr dreissig Jahren zum ersten Mal wieder, bei Jutta zu Hause. Was ist aus einer grossen Liebe zwischen jungen Leuten geworden, die sich 30 Jahre später wieder treffen?

Man unterhält sich sich über Liebe und Ehe. Jutta ist mit einem Arzt verheiratet. Dieser schreibt in einem Nebenzimmer Rechnungen, und die drei Kinder schlafen oben in ihren Betten. Im Raum, in dem sie miteinander über die Ehe in den grossen französischen Romanen sprechen und dazu Wein trinken, steht als riesige Kulisse die Bücherwand.

Ist Liebe reproduzierbar? Das ist die grosse Frage, die den Leser bald beschäftigt. Die Situation ist doch einigermassen komisch, ohne grosse Handlung; die beiden ehemaligen Geliebten sitzen im Zimmer und reden miteinander. Mit dieser sparsamen Konstellation versteht es Kermani, einen spannenden Roman zu schreiben.

Jutta und der erzählende Autor erzählen von ihrer Vergangenheit seit ihrer grossen damaligen Liebe. Der Mann ist bestrebt, alles aufzunehmen, zu überdenken und zu erklären; er zitiert aus Werken der grosser Autoren, deren Bücher, die hier im Regal an der Wand zu finden sind.

Die Situation ist für den Leser irgendwie verwirrlich; es steht die Frage an, wer die beiden Menschen heute sind, nachdem sie früher doch viele gemeinsame Erlebnisse hatten. Was ist heute, wie steht Jutta zu ihrem Ehemann, der im Nebenzimmer die ganze Zeit arbeitet? Das Gespräch dauert bis zum Morgengrauen. Die Spannung, wie das das fein gewobene Stück enden wird, steigt zunehmend. Wer über Liebe und Ehe zu lesen bereit ist, findet hier eine Quelle.

Mein Leseerlebnis und meine Fragen: Mich hat das Buch fasziniert, ich will aber nicht verschweigen, dass es doch einige Zeit braucht, bis man sich in den verschiedenen Ebenen zurechtfindet, nämlich

  • Die Situation Juttas jetzt mit ihrer Familie
  • Der Ebene des Autors, der einen Vorleseabend hinter sich hat und
  • Die Ebene der vielen Zitate aus den Büchern französischer Autoren zum Thema Ehe
  • Die Ebene eines Eheromans, Liebe zu beschreiben, die nicht mehr möglich ist.

Es sind Suchbewegungen um die Liebe herum, von allen Seiten. Das Geheimnis sind die Fragen, die gestellt werden und nicht beantwortet werden.

Der Humor ist präsent in diesem literarischen, poetischen Spiel in verschiedenen Formen. So ist das Leben ist voll von Sehnsüchten und Erfüllungen. Navid Kerman hat ein Netz feiner Beziehungen geknüpft und damit einen Liebesroman neuer Prägung geschrieben, überraschend tiefgründig, oft humorvoll und witzig.

Er hat sich mit diesem Roman etwas von seinem eigentlichen Metier entfernt, das da ist: Stellungsnahmen und Berichte zum Islam, zu Kriegen und zur Politik im Nahen Osten.

Er bereiste alle diese Gebiete und schrieb Berichte in Zeitungen. Als Sohn iranischer Eltern ist er 1967 in Deutschland geboren und lebt heute in Köln. 2015 erhielt er für sein Werk den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.