Gedanken zur Zeit im 
Juli
 
2010
 

D Ziit nümm abgno!

Es ist ein sehr vielschichtiges Unterfangen, sich „zur Zeit“ Gedanken zu machen. Das zeigen die Beiträge zur Sommerserie „Faktor Zeit“ auf DRS1 in ihrer ganzen Vielfalt.

Vom Zeitgeist, dem wir verfallen sein sollen, über das Zeitgefühl bis zu Zeitreisen in die Vergangenheit;
vom Zeit haben;
vom auf die Uhr Schauen:
vom Entschleunigen, Tempo zurückfahren;
vom Hören auf unsere eigene innere Uhr;
vom Auszeitnehmen vom Misstrauen Leuten gegenüber, die Zeit haben oder sie sich nehmen;
vom Träumen von Orten am Meer, wo die Uhren anders zu gehen scheinen.

Eine gute Serie unseres Schweizer Radios war das! Es darf doch auch mal gesagt werden, dass auf allen vier Kanälen von DRS die Wochen hindurch viel Gutes, Lehrreiches, Wissenswertes und Unterhaltsames zu hören ist.

Ich war gespannt, ob sich ein Beitrag auch des Gedichts von Gottfried Keller annehmen würde, auf das ich schon im Januar 2008 hingewiesen habe. Keller kehrt darin die gängige Sicht auf die Zeit um und sagt:

„Die Zeit geht nicht, sie stehet still,
wir gehen durch sie hin,
sie ist ein’ Karawanserei
wir sind die Pilger drin“

In der oben erwähnten Radio-Serie wurde das Gedicht meines Wissens nicht erwähnt. Über den Umgang mit der Zeit aber – so scheint es wenigstens - wird heute vermehrt nachgedacht. Es gibt zu viele Menschen, denen die Hektik unserer Tage zu denken gibt.

In meiner Wohnung hängt „es Ziit“, eine Pendeluhr, die meine Grossmutter zu ihrer Hochzeit geschenkt erhalten hat. Sie läuft noch heute genau, wie eben eine Uhr zu laufen hat. Das Pendel habe ich haarscharf so einstellen können, dass mein „Ziit“ immer präzis dann halb eins schlägt, wenn am Radio das Zeitzeichen ertönt. „Ziit“ nannte man eine solche Uhr. Immer sonntagmorgens zog mein Vater Uhr- und Schlagwerk separat auf.

Ein schönes Gedicht des Solothurner Dichters Josef Reinhart (1875 – 1957) handelt vom „Ziit a der Wand is Müettis Stübli“. Der Sohn, der seiner Mutter geschrieben hatte, er habe fast keine Zeit zum nach Hause kommen, es dann aber doch mal schaffte, sagt:

Doch einisch bin i gange,
bi hei cho s Wägli uf
und s Müetti han i gfunde
elei im alte Hus.

Elei im chline Stübli,
wo s Ziit got a der Wand
am Fänschterli hets gschlofe,
mis Briefli i der Hand."

Und jetzt noch dies, wie es mir ein älterer Herr erzählt hat:
Als im „Dritten Villmerger Krieg“ (es war ein so genannter dörflicher Milchkrieg in den Fünfzigerjahren des letzten Jahrhunderts) einige Bauern zu Gegnern geworden waren, nahmen sie einander nicht mal mehr „d Ziit aab“; das heisst, dass gewisse „Krieger“ einander nicht mehr grüssten.

Diese Zeit ist vorbei, Milchkriege werden heute auch noch, aber zwischen Grossverteilern und Produzenten geführt.