Gedanken zur Zeit im 
März
 
2009
 

Es wird gestartet

„Ich wünsche Ihnen einen guten Start in die neue Woche“.
„Wir starten mit Temperaturen um den Gefrierpunkt in den neuen Tag“.

Eine Liste, wie am Radio DRS 1 immer, überall und auf jedwelche Weise gestartet wird, würde Seiten füllen.

Wenn ich das Gefühl, dass sprachlich etwas schief steht, suche ich Hilfe bei Verbündeten. In meinem Falle konsultiere ich meine vertrauten Nachschlagebücher. Es sind diese der alte „KLUGE“ (Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache), das Duden-Bedeutungswörterbuch (Bd. 10), Den „WAHRIG“ (Deutsches Wörterbuch) und andere. Ich schaue bei den SPRACHGLOSSEN von David und Hans Rentsch nach (Berner Lehrmittelverlag) und bei Sebastian Sicks „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“. Ein bestechend schafsinniges Büchlein stammt von Ursula von Wiese: DEUTSCH AM PRANGER, Wörter beim Wort genommen (Comenius-Verlag).

Bei Ursula von Wiese (sie war Übersetzerin und Lektorin) bin ich dann auch fündig geworden in Bezug auf den inflationären Gebrauch von „Start“ und „starten“.

A. Es geht im Sport um den Beginn eines Wettlaufs oder Rennens. Die Läufer besammeln sich am Start und werden (mit dem Knall aus der Startpistole) gestartet. Dann kann ein Läufer gut oder weniger gut gestartet sein. Er ist vielleicht gar für einen Verein oder für eine Mannschaft gestartet; was heisst, dass er für den Verein am Wettkampf teilnimmt.

B. Gestartet wird am Flughafen. Start- und Landezeiten sind bekannt. Den Flugmaschinen stehen die Start- und Landepisten zur Verfügung. Blindstarts werden bei Nebel durchgeführt. Im Dienste der Raumfahrt werden Raketen gestartet. Von manch einem, der es schnell zu etwas bringt, heisst es, er sei ein Senkrechtstarter. Beim Starten geht es darum, dass etwas in Bewegung gesetzt wird, dass eine Unternehmung anläuft oder beginnt.

Ursprünglich wurde START für den Beginn und die Dauer eines bei Pferderennens England gebraucht. Auch wenn sich der Begriff auf alle Wettläufe und- fahrten sowie auf den Abflug von Flugzeugen ausgedehnt hat, sollte heute nun nicht alles, was beginnt oder anfängt, „gestartet“ werden. So verarmen Sprache und Sprachgefühl; Jugendliche haben schlechte Sprach-Vorbilder nicht verdient.

Stellen wir uns vor, wie in der Natur ein Tag beginnt: wie es heller wird, wie die Sonnenstrahlen alle Kreatur wecken. Wie die Vögel zu singen beginnen. Vielleicht erinnern sich meine Leser und Leserinnen des Volksliedes, das da heisst:

Es tagt, der Sonne Morgenstrahl
Weckt alle Kreatur.
Der Vögel froher Frühchoral
Begrüsst des Lichtes Spur.
Es singt und jubelt überall.
Erwacht sind Wald und Flur.

Und wie oft sind die Morgendämmerung in der freien Natur besungen worden!

Besonders gern höre ich Edvard Griegs Morgenstimmung. Sie auch?

Mit einem morgendlichen „Start“ hat das alles nichts zu tun. Oder nicht?