Gedanken zur Zeit im 
Oktober
 
2008
 

Weinmonat

Die Weinkultur mag etwa 6000 Jahre alt sein. Die Urheimat des Weinstocks sind die Süd- und Westhänge des Kaukasus. Nach Ägypten gelangte die Rebe um etwa 3500 v. Chr., und zur Zeit Christi sollen die Römer Wein und Rebstöcke in den nördlichen Teil Europas gebracht haben.

Früher wurde der Oktober Weinmonat genannt. Es ist die Zeit der Traubenlese. Trauben und Wein - etwas ganz Besonderes. Von fast biblischen Ausmassen. In der Bibel ist immer wieder vom Weinberg, von Winzern, vom Weinstock, von den Reben und vom Keltern die Rede. Der Wein wird zum Blut Christi im neuen Bunde.

„Wein und Weiber betören die Weisen“, steht z. B. in Sir 19,2. Weiter steht in diesem darin, ein neuer Freund sei wie ein neuer Wein: Erst, wenn er alt geworden sei, möge man ihn geniessen. Und im Buch der Sprüche steht unter 23, 31.32: „Sieht den Wein nicht an, wie er so rot ist und im Glase so schön steht; er geht glatt ein, aber danach beisst er wie eine Schlange und sticht wie eine Otter“. Und weiter: „Der Wein macht Spötter, und ein starkes Getränk macht wild“. Jesaja sagt: „Wehe denen, die im Weintrinken Helden sind und tapfer beim Brauen starker Getränke“. Ebenfalls von Jesaja stammt die noch heute gängige Rede vom „reinen Wein einschenken“, was nichts anderes heisst, als einem anderen die reine, ungeschminkte Wahrheit zu sagen.

„In vino veritas - im Wein liegt die Wahrheit“, hiess es bei den Römern. Tatsächlich ist es ja heute noch so, dass sich manch einer erst unter dem Einfluss des Weines offen zur Wahrheit bekennt. Von denen, die nur von andern etwas verlangen und von sich selber nichts, heisst’s, „sie predigen Wasser und trinken Wein“.

Ich bekenne, dass ich gern Wein trinke. Da geht es mir wie Josef Villiger, der gedichtet hat:

O, wie wohl ist mir am Abend,
ein Glas Roten vor mir habend.
Jedoch schmeckt es doppelt gut,
wenn ein zweites folgen tut.

Ich bin aber nicht von der Sorte von Weintrinkern, die immer darauf aus sind, irgendwo und immer etwas Neues entdecken. Ich kaufe nur europäischen Wein. Ich bekenne mich dazu, einige Schweizer Weine besonderes zu mögen. Die meisten Aargauer Weine schätze ich, weil sie für mich ein Stück Heimat sind. Ganz wohlige Gefühle überkommen mich bei einem Glas Wein aus dem Kloster Fahr. Die Trauben werden dort noch jeden Herbst von den Nonnen gelesen. Und das ist doch schon etwas Besonderes, oder nicht? Selbstverständlich trinke ich den Wein aber deswegen, weil er mir im Gaumen schmeichelt.

So ist zu hoffen, dass jetzt die Sonne noch die letzte Süsse in die Trauben jagt, ganz nach dem Gedicht von Rainer Maria Rilke:

Herbsttag

Herr, es ist Zeit. Der Sommer war sehr gross.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
Und auf den Fluren lass die Winde los.

Befiehl den letzten Früchten, voll zu sein;
gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zu Vollendung hin, und jage
die letzte Süsse in den schweren Wein.

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.