Gedanken zur Zeit im 
Januar
 
2008
 

Wer sagt denn, die Zeit gehe?

Die Zeit gehe nicht, meint Gottfried Keller; vielmehr seien wir es, die wie eine Karawane durch diese Zeit ziehen; eine Karawanserei sei die Zeit, also ein Aufenthaltsort für Karawanen, und wir seien die Pilger drin.

Kellers Gedicht hat mich in den letzten Wochen nicht mehr losgelassen; ich habe es kalligraphisch gestaltet, und als Karte ist es im ersubachverlag.ch zu haben, auf der Rückseite mit einem schönen Foto von Samuel Schumacher vom Uhrwerk der Turmuhr von Villmergen.

Die Zeit sei wie ein Pergament, auf das der Pilger mit seinem Blut schreibe, heisst es weiter.
„An dich, du wunderbare Welt,
du Schönheit ohne End,
auch ich schreib meinen Liebesbrief
auf dieses Pergament“

Einen Liebesbrief also schreibt er an die Welt und ist dankbar für jeden Tag, der – gleich einer Perle im Morgentau – aufblitzt im Strahl des Sonnenlichts.

Und, passend zum Jahresbeginn, sagt Keller:

„Ein Tag kann eine Perle sein,
und ein Jahrhundert nichts“.

Ich bin dankbar für dieses Gedicht; es schenkt Zuversicht; es ist von einer positiven Lebens-Grundhaltung. Es tut Menschen unserer Zeit gut. Auch wenn Keller im vorletzten Jahrhundert (von 1819 bis 1890) gelebt hat.

Keller verdient eine Renaissance, nachdem er sogar im Schulbuch zu lange nicht mehr vorgekommen ist. Offenbar war er Pädagogen und Lesebuchmachern suspekt, weil er auch vom „Heimatland“ und „Vaterland“ geschrieben hat, „wie so innig, feurig lieb ich dich!“

Darum: Auf zum Wiederlesen der schönsten Gedichte Gottfried Kellers! Wer kennt sie - zum Beispiel - nicht mehr, seine Gedichte

„Augen, meine lieben Fensterlein,
gebt mir schon so lange holden Schein,
lasset freundlich Bild um Bild herein,
einmal werdet ihr verdunkelt sein“...?

Oder:

Aroleid: „Im Wallis liegt ein stiller Ort, geheissen Aroleid“...?
Sommernacht: „Es wallt das Korn weit in die Runde“...?
Die kleine Passion: „Der sonnige Duft, Septemberluft,
sie wehten ein Mücklein mir aufs Buch“...?

Viel Vergnügen beim Wiederlesen. Oder beim Inwendig-Lernen und Auswendig-Sagen.