Gedanken zur Zeit im 
Januar
 
2013
 

Das Gehen zu Fuss

Die natürlichste Art, sich fortzubewegen, ist das Gehen zu Fuss. Über Jahrtausende kannte der Mensch nicht anderes, als sich zu Fuss von Punkt A zu Punkt B zu begeben. Schon oft habe ich mir überlegt, wie das wohl gewesen sein mag, als junge Eidgenossen zu Fuss als Reisläufer in fremde Kriegsdienste zogen, in Kriegshandlungen verwickelt waren und vor dem Wintereinbruch sich wieder zu Fuss auf den Weg nach Hause machten.

Oder wie war es für die Pilger, die lange Fussmärsche antraten, um den Ort eines Heiligen aufzusuchen?

$Wer mag Ötzi gewesen sein, dessen mumifizierte Leiche 1991 gefunden worden ist? War er ein Pilger, ein Wanderer? Sicher einer, der zu Fuss unterwegs war und in den Ötztaler Alpen wahrscheinlich bei einem Unglück ums Leben gekommen ist.

Wenn der doch erzählen könnte, wie es damals für ihn war, zu Fuss unterwegs zu sein.

Wer heute zu Fuss über längere Strecken zurücklegt, ist ein Spaziergänger oder Wanderer. In meinem Fall ist der Unterschied zwischen Spaziergänger und Wanderer fliessend. Ich bin kein Wanderkamerad, der, Gedanken mit Gleichgesinnten austauschend, ein Ziel zu erreichen im Begriffe ist. Vielmehr fühle ich mich am wohlsten allein. So brauche ich niemanden zu fragen, wann ich eine Pause einlegen, eine Foto, eine Zeichnung oder eine Notiz machen will. Am lebhaftesten sind mir Wanderungen in Erinnerung, wo ich mich hinsetzte und skizzierte oder eine Stimmung in einem kurzen Text eingefangen habe. Es ist eine alte Gewohnheit von mir, immer einen Stift und ein Notizbüchlein bei mir zu haben.  Mit dem Fotografieren gehe ich heute sparsamer um, nachdem ich - nach Aberhunderten von Fotos - mir eingestehen muss, dass darunter eigentlich nur ganz wenige gute Bilder sind.

Beim allein Wandern habe ich zu Passanten, zu Strassenarbeitern zu Bauern auf dem Feld oder zu Leuten in den Dörfern viel eher Kontakt. Das heisst auch, dass ich, wenn ich allein bin, von anderen eher angesprochen werde.

„So, guten Tag, woher kommen Sie, und wohin wollen Sie?“ Das habe ich doch schon viele Male erlebt. An Gesprächen mit Leuten, mit denen ich sonst kaum in Kontakt treten würde, habe ich immer Freude.

Ansonsten kenne ich keine festen Absichten beim Spazieren oder beim Wandern. Ich wandere auch nicht, damit mir etwas in den Sinn kommt. Und wenn mal etwas auftaucht, dann habe ich ja schnell das Büchlein zur Hand, um eine Notiz zu machen. Wandern und Gehen entleert den Kopf. Ich erwarte beim Wandern keine besonderen Eingebungen. Und halte es mit Goethe, der in seinem wunderschönen Gedicht „Gefunden“ schreibt:

Ich ging im Walde
so für mich hin
um nichts zu suchen,
das war mein Sinn.

Im Schatten sah ich
Ein Blümchen stehn,
Wie Sterne leuchtend,
Wie Äuglein schön.

Ich wollt‘ es brechen,
Da sagt‘ es fein:
Soll ich zum Welken
gebrochen sein?

Ich grub‘s mit allen
Den Würzlein aus,
Zum Garten trug ich‘ s
Zum hübschen Haus.

Und pflanzt‘ es wieder
Am stillen Ort;
Nun zweigt es immer
Und blüht so fort.

Welchem Blümchen Goethe mit seinem Gedicht ein Denkmal gesetzt hat, ist seiner Biographie zu entnehmen. Eine wunderbare Liebesgeschichte ist es. Beim Wandern, beim Spazieren fallen einem viele wunderbare Geschichten ein.