Gedanken zur Zeit im 
Dezember
 
2013
 

Die Madonna von Uerkheim

Da war ich vor einigen Jahren in Uerkheim an einer Versammlung; und in der Pause schlich ich mich davon und wollte dem Kirchlein oben über dem Dorf einen Besuch machen. Irgendwie  hatte ich mal davon gelesen, in diesem alten Gotteshaus hätte es sehr schöne Glasscheiben.

Und richtig, ich fand sie. Irgendwie ein Unikum, in einer reformierten Kirche eine so schöne Darstellung der Madonna anzutreffen. Ähnlich ergeht es mir auch mit der Staufberg-Kirche. Gut, es handelt sich um Kunst, die den Bildersturm der Reformation heil überstanden hat.

Als kürzlich in der Aargauerzeitung davon geschrieben stand, wie die Madonna von Uerkheim wieder zurückgekommen sei, wurde ich neugierig. Zu lesen war, dass ein Kunstdieb vor elf Jahren die wertvolle, von Glasmaler Hans Funk 1520 erstellte Scheibe gestohlen hatte, und dass sie wieder gefunden worden sei. Der dreiste Dieb sei ein Elsässer namens Stéphane Breitwieser.

Als ein schönes adventliches Ereignis ist zu vermerken, dass zur Einsetzung der Madonna an ihren alten Platz die Üerkemer Kirche voll besetzt war, und dass die Konfirmanden über  das Schicksal der Scheibe einen kleinen Film gedreht hatten und ihn nun der Öffentlichkeit zeigen durften. Der Pfarrer habe über die Madonna einiges erzählt und sei überzeugt, dass auch ein reformierter Christ sie ehren könne. Und - so habe der Üerkemer Pfarrer weiter gesagt - überhaupt habe die ganze Sache auch ihre gute Seite: denn, wäre die Madonna nie gestohlen worden, so wäre jetzt auch keine Aufmerksamkeit für dieses Kunstwerk vorhanden.

Dem Kunstliebhaber ist es ein Muss, eine Kirche von innen zu sehen. Dabei interessieren vornehmlich auch kleine reformierte Gotteshäuser, denen man ihre vorreformatorische Bauweise mit Chor und grossen Fenstern ansieht. Meistens sind sie nach Osten ausgerichtet und eine Zierde der Landschaft.

Es ist faszinierend, sich mit alten Kirchenarchitekturen zu befassen. Das ist Heimat-Kunde im besten Sinne. Mit den meist architektonisch ebenbürtigen Pfarrhäusern erzählen Kirchenanlangen, reformierte wie katholische, spannende Geschichten. Oft frage ich mich, ob es dann und wann nicht angebracht wäre, in den Predigten den Kirchgängern etwas von der Geschichte des Hauses, in dem sie sich befinden, zu erzählen, zurück zu blenden in die Zeit der Vorfahren. Es wäre aufzuzeigen, dass wir Heutige nicht die ersten sind in diesen Kirchenbänken und dass im Lauf der Zeit viel passiert ist in diesen Gotteshäusern.
Oft staune ich darüber, wie die Sprache solcher Zeitzeugen in unserer Zeit nicht mehr gedeutet und verstanden wird.

Wenn ich die Kirche von Leutwil hoch über dem Hallwilersee erblicke, kommt mir jedesmal mein Vater in den Sinn, der in diesem Kirchlein als junger Bursche konfirmiert worden ist. die Dürrenäscher mussten nach Leutwil in die Kirche, früher war das Dorf kirchlich sogar zweigeteilt; die einen gehörten zu Leutwil und die anderen zu Unterkulm.

Kurz und gut: Es gibt auch unter den Kirchen grosse und kleine. Wobei zu sagen ist, dass die kleinen über die Jahre und Jahrhunderte ebenso viel zu erzählen hätten wie die grossen. Kirchen sind Teil unserer Landschaft. Wer die Landschaft zu lesen sich bemüht, wird reich belohnt mit Einsichten in die Geschichten von Menschen. Und die sind doch alleweil kurzweilig und spannend.