Gedanken zur Zeit im 
April
 
2015
 

1415 und der Gau an der Aare

Im Jahre 2015 soll der Eroberung des Aargaus vor 600 Jahren gedacht werden. Zeit, sich etwas Gedanken zu machen über Geschichte und Vergangenheit.

Berner Aargau, Grafschaft Baden, Fricktal, Freiamt - den schönsten der vier Namen haben wir im Freiamt; eigentlich ein zu schöner Name. Geographisch liegen die Horizonte weiter weg als im übrigen Aargau. Das Freiamt ist das weiteste, der Gestalt nach «lindeste», also das weichste, sanfteste Land unseres vierteiligen Kantons.

«Unser» Lindenberg - die Luzerner haben auch ein Stück davon - ist der Ausdehnung nach die weiteste Aargauer Anhöhe. Sie reicht vom Beginn der Weingasse in Villmergen 25 Kilometer weit nach Dietwil, dem südlichsten Dorf des Aargaus. (Von Baden über die Lägern nach Dielsdorf sind es 11 Kilometer.)

Obwohl der höchste Punkt des Lindenbergs mit 878 Metern um 19 Meter höher ist als das Burghorn, der höchste Felsen der Lägern, kommt einem unser Lindenberg nicht als Berg vor, sondern als vielfältige, erhöhte, locker besiedelte Landschaft. Der höchste Punkt der Gemeinde Sarmenstorf liegt höher als der Übergang am Mutschellen. Auf der weiten Höhe des Lindenbergs gibt es noch intakte Dörfer und manchen unversehrten Weiler.

Im Freiamt braucht man nur von der Talsohle aus zwei bis drei Dutzend Meter Höhendifferenz zu überwinden, um einen Blick in die Weite zu gewinnen.
So zum Beispiel von der Orgelempore der Villmerger Kirche, um J.R. von Salis auf Schloss Brunegg zu grüssen. Seine Antwort auf meine damalige Grusskarte:

„Lieber Herr Walti, Ihr freundlicher Zuruf hat mich so gefreut, dass ich mir diese Anrede erlaube!“

Als die Eidgenossen 1415 den Habsburgern das «Freiamt» wegnahmen, gab es noch gar kein Freiamt. Die Eidgenossen eroberten Ämter. Basta. Von Frei haben sie nichts gesagt. Diese Ämter hatten Namen: Amt Muri, Amt Villmergen, Amt Richensee (heute luzernisch) usw. Die Ämter hatten ihre Eigenheiten, mit je eigenen Gewohnheitsrechten.

Sie waren voneinander unabhängig, also frei. Nach oben waren die Leute in diesen Ämtern so wenig frei wie die Bewohner der Grafschaft Baden und anderer eidgenössischer Untertanengebiete. Aus dem Plural «Freie Ämter» ist zu Beginn des 19. Jahrhunderts der Singular «Freiamt» entstanden, was sich für den 1803 zusammengeflickten Kanton als praktisch erwies.

Sie wurden von den sechs Alten Orten der Innerschweiz (später kam noch Zürich dazu) regiert; und zwar schickte jeder Ort im Turnus von zwei Jahren einen Vogt, der sich zu Beginn seiner Amtszeit huldigen und reich bewirten liess. Dann machte er sich, vermutlich zur Erleichterung der Bewohner der Freien Ämter, davon und überliess die laufenden Routinegeschäfte den einheimischen Untervögten und seiner Kanzlei in Bremgarten.

Dreimal im Jahr liess er sich blicken, um zum Rechten zu sehen und Gericht zu halten. Zumeist waren das Fälle, die nichts mit Politik zu tun hatten, sondern mit dem, was halt jahraus, jahrein überall vorkam und heute noch vorkommt: Rechtshändel, Ehrverletzungen, Diebstahl usw.

Dass die relativ freien Ämter Jenische, Landstreicher, Bettler und Gesindel aller Art anzogen, kann man sich denken. Anne-Marie Dubler weist in ihrem Buch «Armen- und Bettlerwesen in der Gemeinen Herrschaft Freie Ämter 16. bis 18. Jahrhundert» nach, dass es zeitweilig auf fünf Freiämter einen Vaganten oder Bettler traf. Es handelte sich da zum Teil um «Vögel», die von auswärts hergeflogen kamen und sich hüteten, in viel strenger regierten Berner Landstrichen zu landen.