Gedanken zur Zeit im 
Juli
 
2015
 

Kunst – ein heikles Thema

Ich wohne mit einigen Gemälden aus der so genannten Moderne. Und dann und wann werde ich gefragt, was die Bilder darstellten oder bedeuteten. Ziemlich schwierig, jemandem zu erklären, dass sie eigentlich nichts darstellen, sondern einfach aus Farbe und Form leben, dass ich sie deswegen liebe. Ja, das ist es dann. Wie ich denn dazu gekommen sei? Ich sei doch sonst eher einer, der wissen wolle, was dies und jenes zu bedeuten habe. Spätestens jetzt gilt es aufzupassen, dass man sich nicht in endlosen Argumentationen für oder gegen moderne Kunst verfängt.
 
Ich versuche, mir in solchen Fällen mit dem zu retten, was Paul Klee gesagt hat:

Die Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder,
sondern macht sichtbar.

So also ist das.

Aber was sage ich denn, wenn ich nach der Meinung zu gewissen Formen der Moderne gefragt werde, zur Bedeutung des Hafenkrans in Zürich zum Beispiel oder zu manch einer vor sich hin rostenden Eisenplastik. Ja, dann muss auch ich passen, der doch gemeint hatte, er verstehe etwas von moderner Kunst. Es ist offenbar so, dass ich bereits zu denen gehöre, die nicht begreifen, was denn die ganz moderne Kunst will oder soll.

Im Prinzip ist es doch auch bei mir so, dass mich etwas begeistern kann, das ich als schön empfinde. Reich beschenkt wurde ich immer wieder von Ausstellungsbesuchen und durch Gespräche mit Künstlern.
 
Unvergesslich bleibt mir eine Beobachtung während einer Ausstellung in der Fondation Gianadda in Martigny:
Eine jüngere Frau erklärt einem blinden älteren Mann (ist es ihr Vater?) die Bilder in der Ausstellung. Jedes Detail erklärt sie ihm: Linie, Farben, Gegenstände auf Gaugins Bildern. „Welche Farbe hat das Tischtuch?“ fragt der Blinde bei Gaugins Stillleben mit Äpfeln. Dann staunt er, steht einfach vor dem Bild und sieht. Er sieht! Ich glaube, dass die starken Bilder in den blinden Menschen hineinstrahlen, dass er Farben sogar fühlt. Ich ahne etwas vom Glück dieses Alten. Mir wird bewusst, wie ein Mensch einem anderen Medium sein kann für eine Sicht nach Innen.

Ein wundersames Erlebnis war der Besuch einer Kunstausstellung von Ferdinand Gehr im Kunstmuseum St. Gallen. Er lebte von 1896 bis 1996. Seine Kirchenkunst war früher äusserst umstritten. In der damals neuen Kirche St. Anton in Wettingen hat er in den Fünfzigerjahren gemalt. Sein Werk musste während Jahren mit einem Vorhang abgedeckt werden, weil das Kirchenvolk das moderne Werk nicht verstand.
Solche Engel? Das sind doch keine Engel! Als ob jemand wüsste, wie Engel denn aussehen.
 
„Nicht ausschmücken“ müsse man als Künstler, sondern „mit dem Architekten zusammen einen Ort errichten“. Das sagte Ferdinand Gehr.

Die Sankt Galler Ausstellung war eine Retrospektive auf Gehrs Schaffen im benachbarten Altstätten. Wie dieser Künstler farbige Flächen zu einem eindrücklichen Ganzen zusammenbringt! Das künstlerische Wollen und die Reinheit des Ausdrucks seien grösser als die Vernunft. Deshalb könne Kunst mit der Vernunft allein auch nicht beurteilt werden. Auch das sagte Gehr.

Ja, es ist nicht einfach, über Kunst zu reden.
Und gut ist’s, dass es nicht einfach ist!