Gedanken zur Zeit im 
August
 
2011
 

Pensioniert

Senioren haben es nicht leicht. Davon kann ich ein Lied singen.  „Jetzt ist er pensioniert, der hat Zeit, fragen wir ihn doch mal, ob er....“ So tönt es, und so ist die Realität.

Dann gibt’s noch die vielen Kollegen, die schon gewartet haben, wieder einen neu Pensionierten in einen Seniorenverein aufnehmen zu können. Man möchte ihm doch den Einstieg ins Pensioniertenleben erleichtern. Hier im Verein hält man für ihn diesen oder jenen guten Ratschlag bereit. Er ist eingeladen, am Mittwochnachmittag zum Altersturnen zu kommen. Der und der sei auch da, und man habe es immer lustig zusammen, auch nachher in der Beiz.

Altersverein hiess er früher, der heutige Seniorenverein, ein reiner Männerverein. Frauen dürfen zwar an der Jahresreise  teilnehmen, so stur ist man ja auch wieder nicht. Die Generalversammlung findet alljährlich an der Alten Fasnacht im Ochsen statt, mit Traktandenliste, Essen und nachheriger Unterhaltung durch ein Chörli, das mehrheitlich ebenfalls aus Senioren besteht. „Die alten Strassen noch, die alten Häuser noch, die alten Freunde aber sind nicht mehr“ wird gesungen. Wehmütige Gedanken steigen auf, und beim Traktandum Totenehrung fliesst dann schon etwa eine Träne, aus welchen Gründen auch immer.

Diesem Seniorenverein habe ich auch für kurze Zeit angehört. Pünktlich zum 65. Geburtstag kam der Brief mit Einzahlungsschein und mit der Aufforderung zum Mitmachen, mit dem Angebot:

  • Die dritte und schönste Lebensphase aktiv gestalten,
  • dabei sein, nicht rosten.
  • Seniorenkochkurse mit Silvia sind immer beliebt.
  • (Man weiss ja nie!  Manch einer schon ist von einem Tag auf den andern allein dagestanden. Und wie froh ist er gewesen, wenn er wenigstens etwas kochen konnte!).

Ja, die Allgemeinbildung, die Diskussion, der Gedankenaustausch und die Meinungsbildung seien auch im Alter so wichtig. Besser im Seniorenverein mitzumachen, als die Baustellen im Dorf abzuklappern und den Baggern und Kranen zuzusehen.

Ich mache trotzdem nicht mehr mit und habe den Austritt erklärt. Warum? Mir fehlt schlicht und einfach die Zeit. Ich beneide diejenigen, die sich im Alter ein Postfach mieten, damit sie am Morgen zu Post gehen können, um nachher auf irgend jemanden zu warten, mit dem sie schwatzen können. Oder im Schützenstübli täglich einen oder zwei Kaffee trinken und dabei regelmässig den Hans oder den Heiri treffen, um darüber reden,

  • was alles im Dorf wieder passiert ist,
  • wer neu im Spital Muri liegt oder gar in Aarau,
  • wer sicher „nicht mehr lange macht“, und den Kuckucksruf im nächsten Frühling mit aller Wahrscheinlichkeit nicht mehr hört.

So ist es, das Leben: ungerecht. Die einen haben für alles Zeit, und anderen fehlt die Zeit zum Mitmachen.

Wichtig sei aber, dass man sich selber viel Zeit gönne im Alter, sagen weise Leute. Damit nicht andere über unsere Zeit verfügten, müsse man lernen, in dieser Beziehung ein Egoist zu sein. So einer bin ich geworden und habe deswegen nicht mal ein schlechtes Gewissen.