Gedanken zur Zeit im 
November
 
2012
 

Rebbauer und Weinliebhaber

In meinem Gärtchen wächst eine Rebe, die ich von Italien mitgebracht und hier gepflanzt habe. Die Sorte kenne ich aus Italien: es ist eine Rossese-Reben, die in Ligurien schmackhafte, süsse Früchte und einen körperreichen Wein hervorbringt. Nun, ich hatte mir schon überlegt, ob wohl diese italiensiche Sorte hier in unserem Klima so schön gedeiht wie drunten in Bella Italia. „Niente problemi“ hat mir der Gärtner gesagt, bei dem ich die Rebe gekauft habe. Es sei eine in jeder Hinsicht robuste und anpassungsfähige Sorte, dass sie mir in der Schweiz sicher sehr viel Freude machen werde.

Und siehe, die Pflanze wuchs heran und gedieh in den letzten drei Jahren prächtig, schlug in Frühling aus und machte gesunde, kräftige Triebe, blühte, und machte mir Hoffnung auf eine schöne kleine Traubenernte. Doch, dann wurden die Blätter welk, die schon in schönem Behang prangenden Trauben wurden trocken und stellten ihr Wachstum ein.

Da muss etwas geschehen, sagte ich mir. In einem Gespräch mit einem Gartenfreund erfuhr ich, dass in der Firma Zulauf in Schinznach-Dorf ein Pflanzendoktor sei, bei dem ich doch mit einem Zweig mit Blättern und den geschrumpften Früchten vorsprechen könne. „Sehen Sie da, das Weisse, Graue unter den Blättern? Der falsche Mehltau!“ Der sei aber nicht zu verwechseln mit dem echten Mehltau. Wie ein richtiger Doktor empfahl mir der sympathische Mann ein Mittel zum Spritzen. Wenn ich jetzt gerade beginnen könnte, wäre vielleicht noch etwas zu retten.

Ich tat das, und einige wenige Trauben hatten später noch ein paar essbare süsse Beeren. Mmmh, wie in Italien, ging es mir durch Kopf und Magen. Nächstes Jahr werde ich dann beizeiten zum Rechten sehen, habe ich mir fest vorgenommen. Denn  italienische Himmelsfreuden hier im Norden zu geniessen, ist schon etwas Besonderes, So denke ich mir. Einen angemessenen Vorrat von importiertem Rossese-Wein habe ich auf die Seite gelegt. Wer mal vorbeikmommt, darf sich davon überzeugen, dass er ein fast göttlicher Trank ist, dieser Rossese aus Dolceacqua.

Nicht, dass ich ein einseitig nur auf bestimmte Weine abfahrender Weintrinker wäre. Im Gegenteil, ich lasse mir einen Schweizer Wein, auch einen Aargauer, sehr gerne schmecken. Ich finde, dass ein Winzer, der mit all seinem Wissen und all seinem Streben einen Wein macht, mindestens meinen Respekt verdient hat, indem ich seinen Wein probiere und seine Arbei estimiere.

Ich weiss, welche Weine ich gern trinke und bin weit entfernt von jenen Bluffern, die nur von „schweren Tropfen“ aus dem Burgund, dem Piemont oder gar von Aussereuropa schwärmen. Ich spüre ich beim Degustieren eines Weines meist nicht das, was eine so genannter Kenner spürt: Waldbeeren, Zwetschgen und so Zeugs. Und dann sollen die Weine noch zu ganz bestimmten Speisen getrunken werden, zu Käse oder weissem Fleisch. Ich weiss nicht recht, was ich denken soll.

Manchmal finde ich, unter Liebhabern, Kennern und lebensfrohen Weintrinkern existierten nicht wenige Bluffer.