Gedanken zur Zeit im 
November
 
2010
 

Wünsche zur Besinnlichkeit

Wie mich die Elche mit ihren Leuchtschlitten auf grünem Rasen in den Eigenheimquartieren des Dorfes kalt lassen! Und die christkindischen Reklamen in Strassen, Geschäftshäusern und im Fernsehen dazu. Lassen wir’s. Die Meinungen darüber, was guter Geschmack ist, werden immer kontrovers bleiben.

Ende Monat fängt es wieder an: Man will mir Besinnlichkeit verschreiben, mindestens schmackhaft machen. Alle wünschen mir sie, die Besinnlichkeit: angefangen beim Servicemann meines Golfs, über den Vereinsspräsidenten, der zum Schluss der Versammlung mir ebenfalls eine besinnliche Zeit wünscht, bis hin zu allen Leuten, die es mit mir gut meinen und mir von Herzen besinnliche Tage gönnen.

Wenn sie alle wüssten, wie wenig ich mit ihren Wünschen anfangen kann, sie würden es bleiben lassen. Man möge mich doch in Ruhe lassen mit Ausblicken in die bevorstehende selig machende Zeit.

Wie um Himmels willen soll das gehen, damit Besinnlichkeit gelingt?

Etwa so:
Spaziergang im Winterwald,
Schneeschuhlaufen in einsamem Berggebiet,
Nachtwanderung über die Villmerger Schlachtfelder von 1656 und 1712,
Grabbesuch auf dem Friedhof,
mich hinlegen zur Meditation,
Winter-, Advents- und Weihnachtsgedichte lesen,
Kerzen anzünden,
ein oder zwei Glas guten Rotweins trinken,
mich in mein Selbst versenken
und alles ein bisschen mit Melancholie,
mit ein bisschen weniger Lust auf Lust?

Sind Sprüche denn Trost oder Ersatz für etwas, das so einfach nicht zu haben ist? Also, was soll denn die mir empfohlene Besinnlichkeit? Worauf soll ich mich besinnen, mich welchem Sinn zuwenden, wo soll ich Sinnfindung betreiben? Im Grunde weiss ich es selber schon, was meiner Seele gut bekommt und was nicht: Nicht aufregen soll ich mich zum Beispiel, über Dinge, die ich nicht ändern kann.

Und bald kommt auch wieder der Wunsch für den „guten Rutsch“!

Nicht das Ausrutschen auf Schnee oder Glatteis ist gemeint, nein, gut hinüber rutschen soll ich, ins neue Jahr.
Die selben Leute, die mir Besinnlichkeit verordnen, wünschen mir noch, dass ich gut rutsche. Ein Nachdenken oder ein Gespräch mit jemanden über das, was war und was kommen könnte, hätte ich lieber als einen guten Rutsch.

Aber Besinnung hat mit den Wünschen für Besinnlichkeit wenig gemeinsam. Besinnung wäre etwas Aktives; Besinnlichkeit ist wohl eher ein passiv gemeintes Seelenwohl. Sie wird von geschäftstüchtigen Lebensberatern auch als Seelen-Wellness angepriesen.