Gedanken zur Zeit im 
Juli
 
2014
 

Wer kennt Botta in Mogno?

In der Botta-Kirche von Mogno, zuhinterst in Maggiatal, sangen, total versunken, zwei Wanderinnen geistliche Lieder, Kirchenlieder, eins nach dem andern.  Kein Chor, der da sang, es waren zwei Frauen mit gewöhnlichen Stimmen. Das reichte und brauchte nicht mehr, dass es mir wieder einmal wie Schuppen von den Augen fiel: Gross ist die Kraft des Gesangs in der genialen Architektur dieses besonderen Ortes. Mir wurde klar, wie es während langer Jahrhunderte gewesen sein mag, als Menschen einfach nur sangen, ohne Instrumente, einstimmig. Die Melodie war die Musik.  

In einer kleinen Pause suchte ich das Gespräch mit den zwei Frauen. Sie meinten, hier könne man nichts Besseres tun als einfach singen. Sie luden mich ein, es ihnen gleich zu tun. Nach einigen Überlegungen hatten wir dann zwei oder drei Lieder beisammen, die wir gemeinsam kannten; und so sangen wir zu Dritt. Ich werde diese Sternstunde in der Kirche von Mogno nie mehr vergessen. Solo sang ich dann noch das „Salve Regina“, den lateinischen österlichen Mariengesang.

Die Kirche vorherige jahrhundertealte Kirche von Mogno war durch eine Lawine im Jahre 1986 zerstört worden. Die Talbewohner wollten nicht ohne Kirche sein, und mit Hilfe von Spendengeldern war es der Gemeinde wieder möglich, am selben Ort wieder eine Kirche zu bauen. Mario Botta baute sie 10 Jahre nach dem Lawinenunglück, und nun wird sie jährlich von Tausenden Menschen besucht. Es ist ein wunderbarer Ort, wo moderne Architektur von dem kündet, was man nicht aussprechen kann. Es kommen einem die biblischen Worte in den Sinn: Locus iste a Deo factus est - Dieser Ort ist von Gott gemacht. Auch in unserer Zeit können Architektur und Kunst zeigen, wo Gott wohnt.

Die einzige Statue in dieser Kirche stellt wohl die heilige Anna dar. Sie trägt ihr Kind mit dem Antlitz eines erwachsenen Menschen und einer Krone auf dem Köpfchen im Arm. Das Kind ist Maria. Die meisten Leute werden Anna für Maria halten. Aber spielt das eine Rolle?

Oft kennen die Menschen, die heute eine Kirche betreten, die Bedeutung der Symbolik nicht mehr. Daher werden in grösseren Gotteshäusern Kirchenpädagogen angestellt. Diese sollen die „Predigt der Steine“ erklären. Diese Predigt sei oft eindringlicher als die der Worte, meint Anselm Grün in einem Aufsatz. Zwei solche Kirchenpädagoginnen habe ich vor Kurzem im Freiburger Münster (im Breisgau) kennen gelernt. Als ich wegen einer geplanten Führung einer Gruppe die beiden Damen an einem Pult im hinteren Teil des Münsters ansprach, gab sich die eine als Theologin, die andere als Kunsthistorikerin aus. Sie seien hier für die Leute, die in diesem Münster nach Erklärungen zu einzelnen Bildern, Skulpturen oder Einrichtungen suchten.  Sie sprächen Gruppen an, bei denen sie merken, dass sie Fragen haben könnten.

So etwas nenne ich ein zeitgemässes Angebot für Menschen, die spüren, dass in diesem Münster Sichtbares auf Unsichtbares hinweist. Kirchenpädagogen von dieser Art wären eine gute Investition (in verschiedener Hinsicht) auch hierzulande, denke ich.