Gedanken zur Zeit im 
August
 
2012
 

Wohnen

Ja, ich wohne gern und habe meinen bestimmten Stil. Gemässigt modern könnte man sagen. An allen geeigneten Wänden habe ich oben Galerie-Leisten montieren lassen, damit ich, ohne Löcher in die Wand bohren zu müssen, nach Belieben Bilder aufhängen kann. Die Leiste hat den Vorteil, dass Bilder beliebig ausgewechselt werden können. Ich kann mir meine Wohnung nicht ohne meine vielen Bilder vorstellen; darunter sind wenige Fotos, dafür viele Gemälde, vor allem modernere Malerei. Jeden Tag sprechen mich meine Bilder an, erzählen mir Geschichten und wecken Erinnerungen.

Meine Wohnung ist meine Handschrift und für mich ein Stück Welt. Wenn ich nach Hause komme, trete ich in meine eigene Welt ein. Hier kann ich ausruhen, zu mir kommen, nachdenken über Gott und die Welt. Hier lese ich gern im Schein einer stilvollen Lampe. Oder ich freue mich einfach an meinen vielen Büchern, schaue sie in den Regalen an und bleibe im Geist an irgend einem Buch hängen. So tun sich mir manchmal Welten auf.

In der Küche tue ich mir jeden Tag Gutes, indem ich rüste, würze, koche, backe, dampfgare, kühle, einfriere; da setze ich mich zum Essen zu Tisch, wenn ich allein bin; sonst im Wohnraum.
Mein Arbeitsplatz ist ein separates Zimmer mit grossem Schreibtisch und mit allem, was es braucht. Hier bin ich am Telefon und im Internet erreichbar. Mein Büro ist meine Adresse.

Ausserdem wohne ich im Mehrfamilienhaus zusammen mit Nachbarn; ich bin froh, dass sie alle mit mir freundlich sind und mir auch in nur kurzen Begegnungen zu verstehen geben, dass wir irgendwie zusammengehören und im Notfall einander zur Seite stünden. Der Wohnblock steht am Erusbach, dieses Gewässer kommt weit her vom Lindenberg, genauer von Oberschongau. Es fliesst durch Bettwil, Sarmenstorf Hilfikon und durch mein Dorf, vorbei an meinem Haus, bis es sich vereinigt mit dem Hinterbach, der vom Oberniesenberg herkommt. Dann fliessen die beiden Bäche unter dem neuen Namen Holzbach in die Bünz, die Aare, den Rhein und schliesslich in die Nordsee. Schön, sich diesen Wasserweg einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Nach den Gesetzen der Physik geht’s immer abwärts; ein winzig kleiner Teil der Nordsee also ist an meinem Haus vorbei geflossen, dann durch viele schöne Landschaften, durch Städte und Länder. Ist das nicht Grund, dann und wann, am Ufer verweilend, dem lieben Erusbach nachzuträumen?

Ich wohne in einem Dorf, einem eigentlich ein erweiterten Wohnraum mit Kirchen, Schulhäusern, Gemeindehaus, Plätzen, Strassen, Gassen und Wirtshäusern. In jüngster Zeit sind viele Wohnblocks dazugekommen, in denen grossteils neu zugezogene Menschen wohnen. Ich denke viel darüber nach, wie man diesen neuen Leuten ihr neues Dorf als Wohnraum anbieten müsste, und wie man ihnen immer zu verstehen geben könnte, dass sie willkommen sind in unserer Dorf-Wohnung. Viele öffentliche Plätze müssten Begegnungsstätten werden und müssten wichtiger sein als Parkplätze. Sonst dürften wir nicht erstaunt sein, wenn ein gewisser Gemeinschaftssinn langsam aber sicher verdunstet und einem blossem egoistischen Nützlichkeitsdenken Platz macht. Die Verwurzelung im Lokalen ist meiner Meinung nach sehr wichtig. Nur wer irgendwo daheim ist und einen Lebens-Mittelpunkt hat, ist im Stande, die Welt zu erkunden und wieder nach Hause zu kommen.
Eine alte chinesische Weisheit heisst zwar: „Um die Welt zu kennen, brauchst du dein Dorf nicht zu verlassen.“ Über diese Weisheit zu diskutieren, könnte spannend sein.

Mein Dorf darf kein Schlafdorf werden. Schliesslich hat eine Wohnung normalerweise nur ein Schlafzimmer; die anderen Räume sind zum Wohnen