Gedanken zur Zeit im 
November
 
2011
 

Zwischenhalt in Nowosibirsk

Da war ich von meinem ehemaligen Pfarrer vor wenigen Wochen zum Orgelspiel nach Arosa eingeladen. Der Zufall wollte es, dass an jenem Wochenende hoher Besuch aus Sibirien da war. Zugegen war nämlich der Bischof von Sibirien, Josef Werth, residierend in Nowosibirsk. Er war eingeladen von der Organisation „Kirche in Not“, die ihn hierher gebeten hatte, damit für die Bedürfnisses seines Bistums Geld gesammelt werden konnte.

Bischof von Sibirien, gibt’s das? Sind die Russen denn nicht alle russisch-orthodoxer Glaubensrichtung, wenn sie überhaupt eine haben? Josef Werth erzählte in seiner Predigt und beim anschliessenden Nachtessen aus seinem Leben. Die Vorfahren waren deutschstämmige Russen gewesen, die im 18. Jahrhundert von Kaiserin Katharina II. als Siedler eingeladen und willkommen geheissen worden waren. So entstanden deutsche Siedlungsgebiete an der Wolga und am Schwarzen Meer.
Diesen Deutschen wurden ihre garantierten Rechte nach und nach abgesprochen, und nach der Machtergreifung durch die russischen Revolutionäre begann 1917 für diese Russen eine schwere Zeit.

Und nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges wurden mehr als 1,2 Millionen Russlanddeutsche, die sich bisher allesamt zum römisch-katholischen Glauben hatten bekennen dürfen, innerhalb weniger Wochen unter dem Vorwurf der Kollaboration mit Deutschland aus den europäischen Teilen der Sowjetunion nach Osten, hauptsächlich nach Sibirien, Kasachstan und in den Ural deportiert. Die römische Kirche wurde bis auf wenige Untergrund-Zellen, ausradiert. In einer solchen Untergrunds-Zelle lebten Bischof Josef Werths Eltern in bitterer Armut, in Angst und Unterdrückung.

Mit dem ehemaligen Präsidenten Michail Gorbatschow begann die Religionsfreiheit für alle Glaubensrichtungen. So organisierten sich römischen Katholiken in den letzten zwanzig Jahren wieder. Es konnte ein Bischofssitz in Nowosibirsk errichtet werden. Kürzlich wurde das Diözesan-Zentrum eingeweiht. Also kein Bischofspalast wie wir sie im Westen noch haben. Bischof Werth hat in diesem Zentrum ein Zimmer für sich privat, mehr braucht er nicht. Aber Kindergärten und Schulen, Alterszentren und soziale Einrichtungen entstehen und geben eine Perspektive.

Ja, wie denn alles so funktioniere in Sibirien? „Wir sind voller Hoffnung und dankbar dafür, wie es heute läuft“ sagt Bischof Werth, der Erstkommunion, Firmung, sein theologisches Studium und Priesterweihe versteckt im Untergrund hat durchstehen müssen.

Ich bin einem vornehmen, sympathischen Russen begegnet, einem glaubhaften Botschafter eines neuen Russland.

„Und wenn Sie uns, Herr Walti, einmal besuchen möchten, sind Sie freundlich eingeladen, in unserem Zentrum ein paar Tage zu verbringen. Vielleicht reisen Sie einmal mit der Transsibirischen Eisenbahn: dann legen Sie in Nowosibirsk einen Halt ein. Sie dürfen gern unser Gast sein und ein wenig an unserer christlichen Hoffnung Teil haben“.

Der Mann aus Nowosibirsk hat mich sehr beeindruckt. Und wenn’s mir möglich sein sollte, in meinem Leben noch mit der Transsibirischen zu fahren (mein alter Traum ist es allemal) werde ich an der Türe des diözesanen Zentrums in Nowosibirsk um Einlass bitten.