Buchhinweis im 
November
 
2014
 

Das Tiefland

Jhumpa Lahiri
Rowohlt

Die Autorin ist indisch-amerikanischen Ursprungs und wuchs in Rhode Island auf und lebt in den USA. Sie ist eine mit mehreren Preisen ausgezeichnete literarische Meisterin und zählt zu den der faszinierendsten und erfolgreichsten Autorinnen in den USA von heute.

Der Familienroman handelt von zwei Brüdern in Kalkutta, die in der Nähe eines Sumpfgebietes, das Tiefland heisst, aufwachsen. Die Brüder sind einander sehr verbunden, gehen aber eigene Wege. Der jüngere schliesst sich einer Protestbewegung an und wird umgebracht, während der andere als Forscher in Amerika an Universitäten tätig ist. Der jüngere hat die Inderin Gauri  zur Frau, die schwanger ist, als ihr Mann von der Polizei erschossen wird. Der Bruder nimmt sie mit nach Amerika und heiratet sie. Die Tochter erfährt nie, wer ihr eigentlicher Vater ist. Die Ehe mit dem zweiten Mann scheitert; und als die Tochter 12 Jahre alt ist, verlässt die Mutter die Familie.  

Wie die Dichterin Lahiri nun mit den gegebenen Umständen literarisch umgeht, war für mich als Leser dank der genauen, aber stets liebevollen Beschreibung wechselnder Schwerpunkte einmalig. Sie erzählt auf mehreren Ebenen, manchmal im heutigen Amerika mit dem Präsidenten Obama, dann wieder in Indien, das zur Weltmacht werden möchte, aber trotz allem noch auf vielen Gebieten traditionellen Werten verpflichtet ist. Man erfährt von Familienstrukturen, Heiratsvorschriften, von der vorherrschenden Rolle der Familie und von der Dominanz der Eltern und Schwiegereltern.

Lahiri entwirft ein eigentliches Epos zweier verschiedener Welten über drei Generationen. Und wie sie das tut: Mit einer grandios fesselnden Erzählkunst schreibt sie spannend und hervorragend strukturiert. Dann und wann fast ein wenig an der Grenze der Detailversessenheit. Eine wunderbare Prosa über Personen, die viel Leid, Tragödien und von Alleinsein in Tränentälern heimgesucht sind. Aber so einem stillen, schönen und grossen Roman, in dem freudige Ereignisse und das Glück liebender Menschen durchaus ihren Platz gefunden haben, bin ich bis dato selten begegnet.
 
Das Buch hat mich voll gefesselt; doch ganz anders als ein ein Krimi, bei dem die Spannung durch die sich überbordenden Abläufe erzeugt wird. Nein, es war die Stille, die Ruhe, die Geduld, aus denen der Roman lebt. Die wechselnden Kulissen bewirken Spannung und Neugier. Mir, dem Schweizer und Europäer, hat sich eine andere Welt aufgetan, von der ich bisher zu wenig gewusst hatte. Und das etwas macht doch das Lesen allemal zu einem wunderbaren Abenteuer. Oder nicht?

Es wäre nicht richtig, Gertraude Krüger unerwähnt zu lassen, die als Übersetzerin dem Werk eine tadellos adäquate deutsche Fassung verliehen hat. Aufmerksam geworden auf dieses wunderbare Buch bin ich durch den Literaturclub SRF, der unter der neuen Leitung von Nicola Steiner wieder geniessbar geworden ist. Alle vier Literaturexperten waren sich einig über die hohe Qualität dieses Buches; niemand hätte etwas zu bemängeln. Und das heisst doch etwas. Die „New York Times“ schrieb über Lahiris Buch, es sei „Eine beeindruckende Ballade von Liebe, Verlust und Tod“.

Tipp für Weihnachtsgeschenke: Bei rowohlt sind weiter von Jhumpa Lahiri die Liebesgeschichte „Einmal im Leben“ und ein Erzählungsband erschienen.