Buchhinweis im 
Oktober
 
2011
 

Die Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte

Rafik Schami
Hanser-Verlag

Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich bis zur letzten Literatursendung am Schweizer Fernsehen Rafik Schami nicht gekannt hatte. Nicht, dass ich ein Freund dieser Sendung wäre; die Frau, die sie leitet, ist mir allzu dominant und vor allem spricht sie zuviel und lässt andere vielfach nicht ausreden.

Nun gut, als ich doch hineinschaute, war Rafik Schami in der Sendung zu Gast.

1946 wurde Rafik Schami als Sohn aramäisch-christlicher Eltern in Damaskus geboren. Noch nicht einmal zwanzig Jahre alt, gründete und leitete er in seiner Heimatstadt eine Wandzeitung. Nach seiner Übersiedlung in die Bundesrepublik arbeitete er von 1971 in Fabriken, auf dem Bau und in Restaurants und veröffentlichte zugleich deutsche und arabische Texte.

Seit 1982 ist er freier Schriftsteller, Mitglied der Bayrischen Akademie der Schönen Künste und ist mit zahlreicher Auszeichnung geehrt worden. Als christlich-syrischer Araber erhebt er heute seine Stimme für die Freiheit und gegen die Unerdrückung des Assad-Regimes in seiner Heimat.

Und aus dieser Heimat weiss er wunderbare Geschichten zu erzählen; unterdessen ist er zu einem der beliebtesten Erzähler deutscher Sprache geworden. Er weiss noch zu berichten vom Damaskus mit seiner wundervoll poetischen Altstadt, wo es in seiner Kindheit noch Geschichtenerzähler gab und in Kaffeehäusern während des Erzählens noch Garn gesponnen wurde. Vor allem weiss er von einer Stadt zu berichten, in der Musilime und Christen friedlich nebeneinander lebten.

Eine besondere Beziehung hat Rafik Schami zu seinem Grossvater, der ein einfacher Mann, aber ein grosser Denker und Erzähler war. Ihm hat er in der Erzählung, die der Sammlung den Namen gegeben hat, ein liebevolles Porträt geschrieben. Auch in der letzten Erzählung „Grossvaters Brille“ kommt diese Verbundenheit nochmals zum Zuge: Als die Grossmutter stirbt, gibt man ihr die Brille ihres Mannes mit in den Sarg. Grossvater habe seit seinem Ableben im Jenseits drüben sicher nicht mehr lesen können. Sie soll zu seiner Freude ihm die Brille mitbringen.

Im längsten Kapitel des Buches geht es um die Kunst des Erzählens überhaupt. Um das Erzählen aus freier Erinnerung, ohne Notizen oder anderer Hilfen. Beim Erzählen wird eine Geschichte so immer wieder neu. Mündliches Erzählen wird so zu einer hoch literarischen Gattung. Die Schriftlichkeit ist endgültig und friert eine Geschichte sozusagen ein. Rafik Schamis Gedanken zum heutigen Gebrauch der Sprache sind einigermassen ernüchternd. Auch er sieht, wie mit den neuesten Kommunikationstechniken die Sprache unter Druck kommt. Denn Denken werde mit Wörtern und in ganzen Sätzen formuliert. Was wir mit der Reduzierung der Sprache erleben, führe längerfristig auch zur Reduzierung des Denkens.

Dabei bleibt Rafik Schami aber nicht einfach stehen: er sagt auch, wie man dem Sprachschwund begegnen könnte: Kinder und Erwachsene müssten genussvoll und ohne zu moralisieren wieder darauf aufmerksam gemacht werden, wie schön Sprache ist.

Parallel zum Einzug der Digitalisierung der Schrift sei aber das Merkwürdige passiert, dass das Zuhören zurückkkehrt. Zwar wird nicht mehr einem Geschichtenerzähler atemlos zugehört wie damals in Damaskus, wohl aber abertausenden von Hörbüchern, gelesen meist von Sprachkünstlern als Rezitatoren.

Zwar sei diese neue Mündlichkeit ein Hybridwesen und unterscheide sich wesentlich von der ursprünglichen Mündlichkeit. Aber trotzdem: Puristen brächten in unserer Situation nichts zustande; und Purismus sei immer lebensfeindlich gewesen.
Tröstlich, das bei Rafik Schami zu lesen, oder?