Buchhinweis im 
Dezember
 
2007
 

Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends

Josef H. Reichholf
S. Fischer Verlag, Frankfurt 2007

Ein Buch, das einen nach der Lektüre weiterfragen lässt. Gibt es den Klimawandel? War das nicht alles schon mal da? Gab es denn nicht früher schon Hochwasserkatastrophen? Wer ist auf Reisen durch Europa nicht schon Hochwasser-Marken begegnet, weit oben an Hausmauern angebracht, die auf unvorstellbar hohe Wasserstände des nahen Flusses hinweisen? Und waren die letzten Hochwasser denn wirklich „Jahrhundert-Hochwasser“? Das grösste Hochwasser im letzten Jahrhundert war jedenfalls das Juli-Hochwasser im Jahre 1954. Schon vergessen?

Und wie war das mit der Warmzeit im Hochmittelalter, als in Köln Feigen gediehen? Und wie kalt muss es im 18. Jahrhundert gewesen sein, als – laut Basler Chronisten – die Bäume vor Kälte krachten. „Der Winter ist ein rechter Mann, kernfest und auf die Dauer“. Im Gedicht von Matthias Claudius heisst es weiter: „Wenn Stein und Bein vor Frost zerbricht, und Teich und Seen krachen: das klingt ihm gut, das hasst er nicht, dann will er tot sich lachen“.

Natur und Klima waren nie stabil, wie es wie selbstverständlich immer wieder behauptet wird. Reichholfs Buch ist nicht nur eine Natur-Geschichte, sondern auch eine Geschichte des Menschen im letzten Jahrtausend, der sich immer wieder der Natur anpassen musste. Eine Wechselwirkung also. Der Klimaverlauf hatte wirtschaftliche, soziale, kulturelle und politische Konsequenzen. Was wäre aus Europa geworden, wenn der Winter etwas milder gewesen wäre zur Zeit von Napeoleons Feldzug nach Russland?

Beharrlich zeigt Reichholf auf, was zuerst aus der Vergangenheit zu lernen wäre, will man die Zukunftsprobleme bewältigen. Hat sich nicht jedermann daran gewöhnt, dass Auto- und Industrieabgase das Grundübel für den Klimawandel sind? Doch von der Landwirtschafts-Industrie redet (fast) niemand, deren Rinder für den Ausstoss der Hälfte des Methangases, das als Treibhausgas in der Atmosphäre 20 mal stärker als das Kohlendioxyd wirkt, verantwortlich ist. Haushalt- und Industrieabwässer werden sauber gereinigt, die landwirtschaftlichen werden als Gülle über die Felder verteilt.

Ist der Mensch zu weit gegangen mit seinen Eingriffen in die Natur? Sind doch auch schon Gewässer derart gründlich gereinigt worden, dass ein Leben für die Wasserfauna unmöglich wurde! Es gilt auch, bei allem Wohlwollen für Natur- und Umweltschutz, vor Unheilsprognosen falscher Propheten zu warnen.

Das Buch fordert heraus und hinterfragt vorgefasste Meinungen, ist – trotz der Komplexität der Materie – sehr gut zu lesen, lehrreich und in gewissem Sinne auch unterhaltsam.

Josef H. Reichholf ist Professor für Zoologie an beiden Münchner Universitäten. Einem breiten Publikum ist er als Evolutionsbiologe und Ökologe bekannt und gilt als einer der vielseitigsten Naturwissenschaftler Deutschlands.