Buchhinweis im 
Dezember
 
2015
 

Gerhard Schröder

Gregor Schöllgen
DVA

Das war eine ungemein spannende Lektüre. In der Erinnerung ist er zwar etwas hinter die gegenwärtige Bundeskanzlerin Angela Merkel zurückgetreten. Sie war es ja, die gegen ihn angetreten war und die Wahlen gewonnen hatte. An die Regierungszeit und an alle die Namen, die während Schröders Kanzlerschaft waren, kann ich mich gut erinnern.

Gerhard Schröder hat einen Weg aufgetan, auf dem Merkel weiterfahren konnte. Schröder selber war ein Kämpfer, ein Krampfer fast bis zum Umfallen. Was mich an ihm fasziniert, ist seine Zielstrebigkeit, mit der er einen einmal ins Auge gefassten Prozess durchgezogen hat. Von seinen eigenen Parteileuten wurde er oftmals im Regen stehen gelassen, verhöhnt, verachtet. Aber seine in frühester Jugend erworbene Zähigkeit hat ihn immer wieder zum Erfolg verholfen. Ich schätze Schröder in menschlicher Hinsicht, vor allem jetzt, wo ich von unzähligen Beispielen seiner edlen charakterlichen Gesinnung gelesen habe. Nie hat er dem politischen Gegner nicht zugehört, nie hat er einen verhöhnt oder kleingemacht, nie hat er nachgetreten. Er, der aus ganz armen Verhältnissen kommt, weiss, wie es ist, wenn man Verachtung erfährt. Seinen Vater hat er nie gekannt. Der war im Krieg gefallen, als der kleine Gerhard gerade mal ein halbes Jahr alt war.

Das Buch hat mich zu interessieren angefangen, als ich vernahm, dass die gegenwärtige Kanzlerin persönlich an der Buchvernissage die Laudatio gehalten hat. Das zeugt von Merkels edlem Charakter und von ihrer eindrücklichen politischen Statur. An ihr dürften auch einige Schweizer politischen Grössen Mass nehmen.

Das Buch hat über 900 Seiten. Die Lektüre war aber nicht ein Durchkämpfen durch den Wälzer. Im Gegenteil, nie wurde es langweilig. Interessant und einmalig ist, dass der Biograph Gregor Schöllgen vom Altkanzler Schröder die Erlaubnis erhalten hatte, die persönlichen Akten, zum Beispiel Agenden, Notizen und Zettel, einzusehen. Alle Informationen standen ihm offen. Schröder stand dem Biographen in langen Gesprächen Rede und Antwort.

Das Buch beleuchtet auch die Einsamkeit, in der sich politische Menschen oft befinden. Schröder war vor allem nach politischen Niederlagen einsam, auf sich selber gestellt. Innenpolitisch erfuhr er viele Demütigungen auch von Leuten aus den eigenen Reihen. Hilfreiche Zusprüche waren selten. Kamen sie, dann erfreulicherweise auch von ehemaligen politischen Gegnern. Hans Dietrich Genscher ermunterte Schröder mehrmals, seinem Kurs treu zu bleiben. Erfolge erzielte Kanzler Schröder vor allem aussenpolitisch. Im Ausland war er der hoch angesehene deutsche Staatsmann und ein verehrter Gast während vieler Staatsbesuche.