Buchhinweis im 
September
 
2013
 

Jacob beschliesst zu lieben

Catalin Dorian Florescu
dtv-Verlag

Ein starkes Stück europäischer Geschichte! Rumänien in den Dreissigerjahren ist der Schauplatz des packenden Romans des in Zürich lebenden Dichters Catalin Dorian Florescu. Er erzählt das Leben des Jacob Obertin, der von seinem allgewaltigen und machtbesessenen Vater wegen seiner kränkelnden Gesundheit und körperlicher Untüchtigkeit verstossen wird. Mehrmals muss Jacob in seinem Leben wieder von vorn beginnen, weil er vor dem Nichts steht. In einer epischen Erzählung schildert Florescu die katastrophalen sozialen Verhältnisse in Osteuropa vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg. Es sind Schilderungen einer Armut, die man für unvorstellbar hält; sie gehen unter die Haut.

Aber trotz allem: Zärtlich beschreibt Florescu das wechselvolle Leben des armseligen Jacob, der auf der Zugreise in das Straflager nach Sibirien während eines Halts mit viel Glück die Flucht ergreifen kann. Nach tagelangem Umherirren zu Fuss durch Schnee und Kälte findet er Unterschlupf bei einem orthodoxen Priester in einem verlassenen Dorf. Diesem hilft er, Knochen früherer Kriegsopfer zu sammeln und zu begraben.

Dies ist nur eine von vielen tragischen Episoden in dem Buch, das im Ganzen ein Prachtwerk grosser Erzählkunst ist. Wirklich, da kann man sich schon mal stundenlang einer ganz grossen Lektüre von Liebe und Freundschaft, Gewalt, Verrat, Vertreibung, Hunger und Armut hingeben und darob gar sein eigenes Bedürfnis nach Essen und Trinken vergessen. Stets leuchten schönste Momente stillen Glücks auf. Das Leben behält sie trotz allem Leid auch für Jacob auf.

Für seinen Roman erhielt Florescu den Schweizer Buchpreis 2001 und für sein Gesamtwerk im Jahr darauf den Eichendorff-Preis. Elke Heidenreich meinte damals gar, mit diesem Roman katapultiere sich Florescu in die vorderste Reihe unserer Literatur. Und die NZZ schrieb, Florescu sei der geborene Erzähler. Grundlos kommen solche Superlative nicht zusammen.

Als ich das Buch gelesen hatte, bedauerte ich es sehr, Florescu bis dato nicht gekannt zu haben. Ich wurde auf das Buch nicht etwa in einer Buchhandlung oder durch einen Literaten aufmerksam. Das fast nagelneue rote dtv-Buch lag bei Dobler-Gusti in seinem samstäglichen Bücher- und Flohmarkt auf dem Platz vor der Post. Ich griff zu, und zum Preis von Fr. 1.-- kam ich zu einem selten intensiven, schönen Leseerlebnis. Darum: Augen auf für Bücher auf Flohmärkten. Unter Vielem ist mit  etwas Glück dann und wann Überraschendes zu finden.

Zum Autor:
1982 floh Catalin Florescu mit seinen Eltern aus Rumänien in den Westen und lebt seither in Zürich, wo er das Schweizer Bürgerrecht erworben hat. An der Universität Zürich studierte er Psychologie und arbeitete als Therapeut für Drogenabhängige.
Seit 2002 ist er freier Schriftsteller. Während er den besprochenen Roman schrieb, war er kurzzeitig Stadtschreiber in Erfurt.